Sehnsucht

Die Wurzelsünden

Wie hießen sie noch einmal, die sieben Wurzelsünden?
Stolz, Neid, Völlerei, Geiz, Faulheit, Zorn, Wollust.
Und sie stehen uns im Weg auf dem Weg in den Himmel?
Sie stehen uns im Weg auf dem Weg zu einem erfolgreichen und glücklichen Leben!
Wer hat uns mit diesen dummen Eigenschaften ausgestattet? Wozu sollen die denn gut sein?
Fast immer, wenn wir in besonderer Weise verletzt werden oder verletzen, zerstören oder einen Verlust zerstörerisch tief erleben, sind unsere Sehnsüchte am Werk. In vielen dieser Fälle sind sie außer Kontrolle geraten und bestimmen ohne das Zusammenwirken aller Sinne unser Handeln. Aber können wir unsere Sehnsüchte beherrschen, zurückdrängen oder besiegen?
Unsere Sehnsüchte sind gleichzeitig der Motor unseres gesamten Lebens. Sie lassen uns nach Liebe suchen, führen zu unserer Kultur, lassen uns stark werden und für unsere Selbständigkeit und unseren Reichtum sorgen. Sie zu bekämpfen, würde uns am Leben hindern! Im harmloseren Fall würden wir hoffnungslos zwanghaft.

Unsere Sehnsucht ist unbegrenzt. Das heißt, sie ist nie zufrieden. Ähnlich wie die Schwerkraft nicht geringer wird, wenn wir ihr nachgeben, uns fallen lassen oder in die tiefsten Täler steigen, bezieht sich die Sehnsucht niemals auf ein konkretes Ziel, bei dessen Erreichen sie als Kraft nicht mehr weiter wirkt. Dennoch empfinden wir ein kurzzeitiges Glücksgefühl, wenn wir den Projektionen unserer Sehnsucht näher kommen. Wir stellen konkrete Ziele an die Stelle der eigentlichen Sehnsucht, da wir die Sehnsucht nicht greifen können, da sie keine irdischen Ziele beschreibt. Dieses Prinzip wurde weiter oben bereits mit dem Bild der "Fatamorgana" erläutert: Was wir sehen und erstreben, gibt es wirklich. Nur ist der Ort, wo wir es aufgrund unseres Bildes vermuten, nicht der Ort, wo dieses Bild wirklich entsteht. Wer glaubt, er müsse sofort losziehen, um die Oase, das Schloss oder den Ort, wo das Glück zuhause ist, dort suchen, wo er gerade zu sehen meint, wird sich dann leicht verirren.

Die Vorstellung, die Sehnsucht wäre eine nicht zu stillende Kraft entspricht aus heutiger Sicht einer Agenda, die ich nicht gut heiße und die nicht glaube. Jens erzählt hierzu eine sehr spannende "Geschichte": Eden sei heute im Besitz vom Miesen. Eden sei voller reifer prächtiger appetitanregender Früchte. Wer jedoch nach den Früchten greift und sie kosten wolle, dem würden sie in diesem Moment verderben und wären ungenießbar.
Ich finde dieses Bild so spannend, weil es der Art entspricht, wie wir heute mit permanenter Reizüberflutung heiß gemacht werden, ohne Beziehung her zustellen. Dies ist tatsächlich der Zustand einer nicht zu befriedigenden Sehnsucht. Aber dieser Zustand hat nichts mit Liebe zutun. Wir können uns gar nicht mehr vorstellen, in Liebe zu leben und zufrieden zu sein, weil uns das satanische System auf dieser Erde alles liebe so grundlegend vorenthalten hat, weil wir von unserer Liebesfähigkeit so grundlegend entfernt wurden.

Eine Frau tut alles für ihre Schönheit (um bei den konservativen Rollenerwartungen zu bleiben) um einen strahlenden reichen Mann zu erobern, der ihr ein großes Haus und eine Familie ermöglicht, für die sie sich aufopferungsvoll einsetzen will. Er kauft sich als Mann ein schönes Auto, ein großes Haus, arbeitet sich völlig auf für die schöne Frau, die er durch den Glanz an sich binden konnte und für seine Familie. Und er wird auch nicht unglücklicher, als der Moralist, welcher glaubte, er müsse die Welt von seinem Wertesystem überzeugen und der keinen Sinn mehr darin sah, in dem falschen gegenwärtigen Wertesystem sich zu engagieren. Er wird aber wohl auch nicht unbedingt glücklicher. Sie meinten, ihre Sehnsucht hätte konkrete Abbilder in der greifbaren Realität. Und sie haben sogar recht! Aber leider beinhalten all diese schönen dinge die Ziele nicht statisch, sondern nur für einen lebendigen Moment. Das noble Auto und das große Haus suchen in der Natur ihresgleichen. Sie verleihen seinen Besitzern, den Ingenieuren, Managern und Architekten eine besondere Würde (von den Beispielen misslungener Architektur und Design will ich einmal absehen, ebenso wie von den ökologischen Auswirkungen) und sind Ausdruck von Kunst, Kultur, Leben. Sie haben sogar etwas göttliches. Auch darin, wie sich die Menschen schmücken und kleiden, erhöhen sie sich über ihren Alltag. Nur leider lässt sich Leben nicht festhalten, und so kann das festgehaltene Leben zum Gefängnis werden, wenn nicht die Suche nach den Gegenständen der tieferen Sehnsucht weiterhin das Leben bestimmt. Der Mensch wird nicht "göttlicher", wenn er diese Dinge alle besitzt, sondern wenn er kreativ und schöpferisch ist - und wenn er dabei im respektvollen und verantwortungsvollen Umgang mit der Umgebung und der Schöpfung steht.

Es wurde bereits angedeutet, dass vielleicht fast unsere gesamte Sehnsucht und die kurzsichtige Umsetzung ein Streben nach Nähe zum Leben oder, um es christlich zu sagen, zu "Gott" ist. Jawohl: unsere Autos, Häuser, Eitelkeit,etc. - vielleicht ein teilweise verirrtes Streben nach Einheit mit dem Universum oder auch nach "Göttlichkeit". Je gelassener wir bleiben, und je weniger wir uns von nahen Zielen und Projektionen völlig einnehmen lassen, um so leichter werden wir dahinter liegenden Ziele unserer Sehnsucht verspüren und erkennen, wo wir lebendiges und bereicherndes Leben finden. Ich kann mich an der Existenz von schönen Menschen, großartigen Häusern, ausgeklügelter Technik erfreuen und das Wirken der Natur darin sehen. Aber ich muss nicht all diese Dinge besitzen, um zum Leben zu finden. Wenn ich dennoch in den Besitz mancher schöner Dinge komme kann ich sie pflegen und schätzen wollen, aber mich nicht vereinnahmen lassen von deren Bedeutung. Und ich kann dem Umgang mit Menschen und mit der menschlich nicht beeinflussten Natur ebenso einen hohen Stellenwert einräumen, denn hier findet ein wichtiger Teil unseres Lebens statt, indem sich die Grundlagen für unser Leben ständig erneuern.

Die Wurzelsünden wirken dort zerstörerisch, wo wir nicht gelassen bleiben und glauben, hier oder dort etwas sofort und ohne Rücksicht auf unsere Umgebung durchsetzen zu müssen. Kurioser Weise weisen die zugrunde liegenden Kräfte zunächst die richtige Richtung. Aber die kurzsichtige Umsetzung lässt uns stolpern.
Warum die richtige Richtung?
Ich habe zum Beispiel erlebt, dass ich im bevorstehenden Tod eines Freundes die Hoffnung entwickelte etwas von dem Erbe erhalten. Ich erschrak über meine "Leichenfleddermentalität" zu einer Zeit, zu der dieser Freund noch lebte. Dann merkte ich, dass hinter diesem "seltsamen" Wunsch nur der Wunsch steckte, von diesem Freund geliebt zu werden. Von da an fiel es mir wieder leichter, den Freund zu begegnen, denn dieser Wunsch ist ja absolut berechtigt und er konnte meine Sehnsucht bestehen lassen, ohne um das Erbe zu kämpfen, denn das war ja nicht das eigentliche Ziel meiner Sehnsucht. Was passiert, wenn das vordergründige Ziel die Handlung bestimmt, kennen Sie aus vielen Erbschaftsstreitereien, bei denen keiner glücklich wurde.

Daher brauchen wir keinen "inneren Schweinehund" zu bekämpfen, wenn wir bei uns eine der Wurzelsünden zu erkennen glauben. Wir können gelassen bleiben, das heißt, wir können unsere Furcht aushalten, ohne sofort handeln zu müssen und wir können dafür besonnen beobachten, wohin uns unsere Sehnsucht zieht, welche hinter vordergründigen Handlungsimpulsen zum Vorschein kommt. Wie können wir diesen Sehnsüchten folgen, ohne auf halber Strecke zu vergessen, wo hin wir eigentlich wollten? Wenn wir bei unseren Handlungen abwägen, welche Folgen sie haben werden, was sie uns nutzen werden, dabei nach Gerechtigkeit suchen, finden wir nicht selten Wege, die für uns gesamtheitlich sehr vorteilhaft sind.

Attraktivität

Gemeine Streiche, die unsere Sehnsucht, geliebt zu werden uns spielen kann, seien im Folgenden noch ein wenig beleuchtet:
Wenn Sie einen Eimer Altöl in den Garten stellen würden, könnte der eine ganze Weile dort stehen, ohne dass sich etwas verändert. Würden Sie hingegen ein nahrhaftes Stück Fleisch ins Freie legen, so kämmen schnell die Fliegen, Schimmelpilze und Krähen und mit der Pracht wäre es bald vorbei. Wir bestehen überwiegend aus nahrhaftem leckerem Fleisch. Um uns vor derartig gefräßigem Getier zu schützen, brauchen wir ein intaktes Immunsystem, unsere Haut und einige Schutzstrategien.
Leider sind nicht nur Tiere hinter unserem Fleisch her, sondern auch Menschen. Nicht irgendwelche fremden Verbrecher, sondern unsere nächsten Angehörigen, Kollegen oder Menschen, die wir schon lange einmal näher kennen lernen wollten, von denen wir geliebt werden wollten. Das gemeine ist: je attraktiver, lebendiger und strahlender wir auftreten, desto besser riechen wir für diese hungrigen Menschen. Unser Onkel, unsere Tante hat uns nie beachtet; aber seit wir in der Schule eine eins hatten, uns adrett gekleidet haben, wollen sie uns auf einmal einladen. Nein unsere Person interessiert sie noch lange nicht, aber sie wollen teilhaben an unserem Glanz. Das kann dann zu einer Art Missbrauch im weitesten Sinne führen, wenn wir nicht in der Lage sind, uns rechtzeitig abzugrenzen. An der Abgrenzung hindert uns unser Wunsch, von ihnen geliebt zu werden. Dafür lassen wir uns von anderen gerne herumkommandieren, uns erzählen, was wir zu tun hätten und wir tun uns schwer, uns los zu reißen. Hänsel musste so lange fasten, bis er mit dem Finger den Käfig aufsperren konnte, damit ihn die Hexe nicht aufgefressen hätte, wenn er dicker geworden wäre. Tatsächlich ist es oft leichter, seine Kraft und Schönheit zu verstecken, sich voll zu fressen, in der Schule zu versagen, sich verkommen zu lassen, als den Eltern oder Kameraden zu sagen, wie nahe sie an uns herankommen dürften, unsere Grenzen aktiv zu bestimmen.
Aus dieser Sicht ist für einen Bub das größte Glück eine Mutter, mit der er herzhaft flirten kann, ohne dass diese den Bub in irgendeiner Weise zwischen sich und den Vater kommen lassen würde oder Ihren Sehnsüchten zum Buben nachgeben würde. Ebenso ein Vater, den seine Tochter gefahrlos bezirzen kann, und der immer die Grenze wahren kann, weil er seine Sehnsüchte mit sich und mit seiner Frau ausmacht. Allgemein: Eltern, die für Ihre Kinder sorgen und nicht der Sorge ihrer Kinder bedürfen.
Als Erwachsenen hilft uns leider der beste Panzer gegen gefräßige Mitmenschen wenig, denn er lässt uns vertrocknen und steigert die Sehnsucht erneut. Die Gefahr kommt von innen, denn wir verkaufen unser Fleisch ja in der Hoffnung auf Liebe. Das Ideal ist ein Zustand, in dem wir das Vertrauen haben, dass wir, wenn wir es brauchen, die benötigte Wärme finden, dass wir mit diesem Vertrauen furchtlos auf andere Menschen zugehen können und wachsam auf unsere Grenzen achten können, sie sanft aber bestimmt wahren. Dabei nehmen wir in Kauf, von anderen verlassen zu werden, wenn ihnen das nicht ausreicht, wenn sie uns nur gewogen bleiben, solange wir es ihnen recht machen, statt unseren Weg zu gehen. Wenn uns das gelingt, können wir stärker und damit attraktiver werden. Wir müssen dann vermutlich einen erhöhten Aufwand treiben, um die Grenzen zu wahren, denn nun werden wir für Menschen interessant, die uns bis dahin nicht beachtet haben. Die Möglichkeit, von derem Glanz etwas abzubekommen kann auch uns leicht verleiten, unsere Grenzen erneut zu missachten. Wir wollen selber zur Krähe werden, werden aber aufgrund mangelnder Erfahrung leicht erneut zum Opfer.

Diese Gedanken erschrecken manche Menschen, weil sie den Menschen gewissermaßen einen Marktwert zuordnen und sie sehr materialistisch zu betrachten scheinen. Aber wir können leichter auf andere Menschen kraftvoll und respektvoll zuzugehen, wenn wir solche Mechanismen erkennen, uns selber schützen und in diesem Schutz die eigene Kraft, Ausstrahlung und Freude bewahren. Hier gilt es, von der Realität nicht erwarten, dass sie unseren Vorstellungen entspricht, aber unsere Zielvorstellungen durchaus an unseren Idealen zu messen! Die Gesundheit, Stärke, Freude und damit Attraktivität, die ein Mensch erlangen kann, hängt manchmal eben auch an seiner Fähigkeit, sich abzugrenzen und unbeirrt seinen Weg zu gehen.

"Du liebst mich nicht / erdrücke mich nicht!"

Weitere gemeine Streiche können uns nicht erkannte widersprüchliche Sehnsüchte spielen:
Wir alle sehnen uns danach, von anderen, z.B. von unserem Partner, geliebt zu werden. In gleicher Weise benötigen wir viel Raum, sehnen uns nach absoluter Freiheit. Genau genommen ist es auch eine Form von Liebe, dem Partner Raum zur Entfaltung zu lassen. Aber beide Sehnsüchte stehen manchmal im Widerspruch. Nicht selten engen wir uns ein, aus Angst, durch Abgrenzung weniger Liebe durch den Partner zu erhalten. Oder wir grenzen uns ab, aus Angst, der Partner könnte uns sonst einengen. Daraus kann sich eine nette Aufgabenverteilung ergeben. Und diese Verteilung (einer klammert, der andere reißt sich los) kann zu Streit führen. In diesem Streit übersehen beide Partner leicht, dass es ihr gemeinsamer innerer Konflikt ist, dass sie nicht wissen, wie sie die Bedürfnisse nach Nähe und Abgrenzung in Einklang bringen. Vielleicht übernimmt der Partner genau die Seite, die man sich selbst nicht traut. Auch hier kann es wieder sehr hilfreich sein, gelassen zu bleiben und erst einmal genau zu untersuchen, welche Kräfte in einem wirken, und zu welchen Resultaten die Kräfte führen, wenn sie das Steuer übernehmen.

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Veröffentlichung am: 24.06.2014
Letzte Änderung: 24.06.2014
Anmerkungen (grün): 31.01.2019
Uli Sommer